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Bericht: 'Sie wollten meinen Willen brechen'

105 Tage hielt die iranische Polizei Mehdi Forootan in dem berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran fest. Nachfolgend berichtet er von zermürbenden Verhören, Glaubensgesprächen mit Al Kaida-Anhängern, und wie er schließend in die Türkei fliehen musste.

(Open Doors) - Es war früh am Morgen nach Heilig Abend. Draußen war es kalt, und das Leben in der Hauptstadt Teheran noch nicht erwacht. Auch der 33-jährige Mehdi Forootan war noch schlaftrunken. Unsanft hatten ihn Polizisten aus dem Schlaf gerissen. Jetzt saß er auf dem Rücksitz eines Zivilfahrzeuges der Polizei vor seinem Haus. Ein Beamter richtete eine Videokamera auf ihn. Minuten zuvor hatte dieser Beamte bereits die Razzia in seinem Haus vollständig gefilmt. Unter dem Vorwand, Mitarbeiter des Drogendezernats zu sein, hatten er und seine drei Kollegen seine Sachen durchgewühlt und Computer, Bücher und wichtige Dokumente mitgenommen.

Iran: Mehdi Forootan/Compass DirectForootan war sich keinerlei Schuld bewusst. Er hatte keine Angst; obwohl er schon von christlichen Freunden gehört hatte, die verhaftet und kurz darauf wieder freigelassen worden waren. Einen kurzen Gefängnisaufenthalt würde er sicherlich auch überstehen, dachte er. Schließlich hatten die Beamten gesagt, sie wollten ihm lediglich einige Fragen stellen und ihn wenige Stunden später entlassen. Also hoffte Forootan, es noch rechtzeitig zur Weihnachtspredigt zu schaffen, die er für eine Gruppe iranischer Christen vorbereitet hatte. Am Abend wollte er sich mit ihnen treffen. Immer noch war die Kamera auf ihn gerichtet. (Foto: Mehdi Forootan/Compass Direct)

Großangelegte Verhaftungswelle

Doch Forootan sollte diesen Gottesdienst verpassen. Am 26. Dezember 2010 wurde er im Zuge einer Verhaftungsaktion gegen die iranische Untergrundkirche aus Christen muslimischer Herkunft festgenommen. An diesem Tag kam auch Farshid Fathi, ebenfalls ein ehemaliger Muslim und Glaubensbruder von Forootan, in Haft. Bis heute sitzt er im Gefängnis. Schätzungen gehen von 120 Christen aus, die in den darauffolgenden zwei Monaten festgenommen wurden. Die meisten kamen bereits nach wenigen Tagen wieder frei. Erst am 9. April sollte auch Mehdi Forootan ohne weitere Erklärungen freikommen. Nach seiner Entlassung konnte er in die Türkei fliehen. Dorthin gehen viele iranische Christen in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Im Gespräch mit dem Informationsdienst Compass Direct sitzt der junge Mann auf einem einfachen türkischen Teppich in einem Miethaus und erinnert sich.

Rückblick

"Wissen Sie, warum Sie verhaftet worden sind?", fragte ihn der Beamte hinter der Kamera in ruhigem Ton. Es war der Tag nach Heilig Abend und Forootan saß auf dem Rücksitz eines Zivilfahrzeuges der Polizei vor seinem Hause.

"Nein", gab Forootan an.

"Ich stelle Ihnen die Frage noch einmal", sagte der Beamte. "Wissen Sie, warum Sie verhaftet worden sind?"

"Nein!", antwortete Forootan. "Warum sagen Sie mir nicht, warum Sie mich verhaftet haben?"

Der Beamte schaltete die Kamera aus und sah Forootan direkt in die Augen. "Ich kann Sie schlagen, bis das Blut aus Ihrem Mund und jeder Körperöffnung herausquillt. Wenn ich gleich die Kamera wieder einschalte, erzählen Sie mir, warum wir Sie verhaftet haben", sagte der Beamte und drückte den Aufnahmeknopf.

"Na gut, ich nehme an, Sie haben mich wegen meines christlichen Glaubens verhaftet", gab Forootan widerwillig zurück. Wieder schaltete der Beamte die Kamera aus und fragte:

"Möchten Sie zum Islam zurückkehren?"

"Nein!", erwiderte Forootan.

"Wir werden Sie jetzt an einen schlimmen Ort bringen", fuhr der Beamte fort. "Haben Sie schon einmal vom Evin gehört?"

Forootan’s Herz schlug schneller beim Namen des berüchtigten Gefängnisses. Doch er gab sich Mühe, es zu verbergen.

"Ja, das habe ich."

Blick über TeheranTage der Isolation

Im Evin Gefängnis angekommen, befahl man ihm, sich die blaue Häftlingskleidung anzuziehen. Es wurden Fotos gemacht; eines von vorne, von rechts und eines von links. "Ich kam mir vor wie ein Mörder", schildert Forootan seine Gefühle. Anschließend führte man ihn durch einen langen Flur, vorbei an lauter Einzelzellen. Eine davon war für ihn reserviert: zwei Meter breit, drei Meter lang. Es gab kein Bett, keinen Stuhl, keinen Tisch – nur eine dünne Decke, eine kleine Toilette und ein Waschbecken aus Metall. Ein Koran und ein muslimisches Gebetsbuch lagen auf der Fensterbank. "Machen Sie es sich gemütlich", hörte er einen Wärter sagen. "Sie werden für eine lange Zeit hier sein." (Foto: Blick über Teheran/Open Doors)

In den ersten von zahlreichen Nächten schlief Forootan auf dem nackten, kalten Fußboden. Am Morgen holte ihn ein Wärter aus seiner Zelle, und ließ ihn für einige Minuten allein auf dem Gang stehen. "Psst, psst, Mehdi!", hörte Forootan eine vertraute Stimme hinter sich flüstern. Farshid Fathi, Rasool Abdolahi, Mohammad Zardouz und andere befreundete Christen waren in anderen Zellen auf dem langen Gang untergebracht worden. Sie wurden am selben Tag wie er festgenommen.

Verhörtaktik

Forootan berichtet, wie ihn Verhörbeamte des Teheraner Evin-Gefängnisses in einen Raum brachten und ihm zahllose Fragen stellten. Dabei verbanden sie ihm die Augen. Für wen arbeitete er? Warum hatte er Afghanistan, die Türkei und Armenien besucht? War er ein Christ? Sie beschuldigten ihn, ein Spion, ein Freimaurer und ein Freund Israels zu sein. "Sie sagten zu mir, wenn ich ihnen alles erzählte, käme ich innerhalb von zwei bis drei Wochen frei", erinnert sich Forootan. "Als ich ‚zwei bis drei Wochen‘ hörte, wusste ich, dass ich in Schwierigkeiten bin, und dass wir lange hier bleiben würden." Die Beamten sagten Forootan auch, er werde beschuldigt, durch seine evangelistischen Aktivitäten und seinen christlichen Dienst die Nationale Sicherheit zu gefährden. An den Verhören waren immer zwei Beamte beteiligt: Einer behandelte ihn sehr grob und drohte ihn umzubringen oder für immer im Gefängnis zu behalten. Der andere redete ihm gut zu und versprach, ihm zu helfen, wenn er alles erzählen würde. Diese Treffen fanden in der Regel alle drei Tage statt. Manchmal vergingen aber auch zehn Tage ohne Befragung. "Sie spielen mit deinen Gefühlen", erklärt Forootan. "Du bist in einer miserablen Lage, wenn du allein bist und dich mit nichts beschäftigen kannst. Ich fing an zu beten, aber nach einiger Zeit wurde ich sehr verzweifelt. 'Gott, bitte hol mich hier raus, ich möchte mit anderen Menschen sprechen!"

"Sie sollen uns nicht evangelisieren!"

Forootan gab seinen Befragern drei Wochen lang keine Antwort, bis eines Tages ein Polizeibeamter das Verhörzimmer betrat. Er legte einen Stapel Ausdrucke auf den Tisch, die dem Computer eines Freundes entstammten. "Wenn Sie weiter schweigen, können wir Sie problemlos zwei, drei, vier Jahre im Gefängnis behalten", erklärte ihm der Beamte ruhig. "Sie haben keinen Anwalt. Wir können mit Ihnen anstellen, was wir wollen." An diesem Tag schrieb Forootan seine erste Aussage auf; einen von vielen Berichten über sein Leben als christlicher Leiter im Iran, immer bemüht, zu erraten, was seine Befrager schon über ihn und seine Aktivitäten als Leiter einer Hauskirche vermuteten. Während eines Verhörs schaltete ein Beamter eine Kamera ein und richtete sie auf ihn. "Erzählen Sie uns von ihrem Verbrechen!", befahl er Forootan und wies ihn an, direkt in die Kamera zu sprechen. "Ich begann, ihnen von meinen Drogenproblemen als Teenager zu erzählen und davon, wie ich an der Universität Jesus gefunden, und er mich gerettet hatte. Seitdem bin ich frei", sagte Forootan. "Aber der Beamte wurde sehr ärgerlich, schaltete die Kamera aus und fuhr mich an: 'Sie sollen uns von ihrem Verbrechen erzählen, nicht uns evangelisieren!"

Farshid Fathi

Eines Morgens in seiner Zelle hörte Forootan jemanden seinen Namen rufen. Er blickte aus dem kleinen Fenster in seiner Tür und sah Farshid Fathi in Handschellen, die Augen verbunden. Er war auf dem Weg zum Verhör. Aber der Wärter hatte ihn einen Augenblick alleine im Gang stehen lassen. "Mehdi, hab keine Angst!", rief Fathi ihm zu. "Wir kommen hier bald raus!" Einige Tage darauf war Besuchsstunde, in der die Gefangenen durch eine Glasscheibe mit Verwandten sprechen dürfen. Forootan’s Blick fiel auf Fathi, der an ihm vorüberging. Sein Kopf war kahl rasiert, und er sah müde aus. "Ich denke, er war so müde, weil er seine Kinder vermisst", vermutet Forootan. "Das war wirklich schwer für ihn." Forootan geht davon aus, dass die Behörden an Fathi ein Exempel statuieren wollen, und ihn deshalb weiter gefangen halten: "Sie behalten meinen Freund dort, weil sie den Menschen Angst einjagen wollen. Dabei haben sie selbst Angst vor den Hauskirchen im Iran. Sie erzählen uns, wenn du Christ bist, kannst du in eine Kirche gehen, nur damit sie genau beobachten können, was die Christen tun."

Glaubensgespräche mit Al Kaida-Anhängern

Symbolbild/Open DoorsForootan hatte die Fragerei, das Gefängnis und die Einzelhaft gründlich satt. Er vermisste seine Familie und die Stimme seiner Verlobten, schildert er seine Gefühle. Nach 38 Tagen Einzelhaft wurden seine Gebete erhört, und er kam in eine Zelle mit etwa 30 anderen Häftlingen. Später erfuhr Forootan, dass sein Freund Farshid Fathi 50 Tage in Einzelhaft verbrachte. Einige seiner Zellengenossen waren Bahá'í-Anhänger, einige gehörten zu Al Kaida, andere zu politischen Organisationen wie der sogenannten "Grünen Bewegung", die nach der umstrittigen Wahl im Jahr 2009 demonstriert und den Rücktritt des Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad gefordert hatten. "Als ich sagte, dass ich ein Christ muslimischer Herkunft bin, wurden sie sehr zornig", erinnert sich Forootan an die Al Kaida Mitglieder in seiner Zelle. "Ein Freund und Mitgefangener riet mir, vorsichtig zu sein: 'Diese Leute wollen dich umbringen!' Er gehörte zur "Grünen Bewegung". Nach einer Woche fing ich an, mit ihnen über die Bibel zu sprechen. Ich fragte sie, warum sie Menschen mit Bomben und Waffen töten. 'Ist das der wahre Islam?' Sie fingen an, vom Koran zu erzählen, ich erzählte von der Bibel und nach einer Woche wurde wir Freunde." (Symbolbild: Open Doors)

Grausamer Streich

Am 9. April 2010 öffnete sich die schwere Tür des Evin Gefängnisses. Forootan stand davor, noch auf dem Gefängnisgelände und beobachtete den Eingang. Er blinzelte in die Sonne. 105 Tage lange war er im Gefängnis gewesen. Er traute dem Frieden nicht und hatte Angst, sich schon bald wieder in seiner Zelle wiederzufinden. So war es seinem Freund Fathi ergangen: Vor wenigen Wochen erzählte ein Mithäftling, dass die Behörden sich mit Farshid Fathi einen bösen Scherz erlaubt hatten: Gerüchten zufolge hatten sie ihm gesagt, er könne seine eigene Kleidung wieder anziehen und ihn zum Gefängnistor geführt. Er sei nun frei, hieß es. Doch im nächsten Augenblick hielt ihn ein Wärter an und sagte, er müsse Fathi in seine Zelle zurückbringen. "Das Ganze ist ein Spiel. Fathi war danach am Boden zerstört", erinnert sich Forootan an seine Beobachtungen während der wöchentlichen Besuchszeit. Nun stand er selbst vor dem offenen Gefängnistor und betete innerlich. Er vermutete, dass sie ihm denselben grausamen Streich spielen wollten, um seinen Willen zu brechen. Einige Minuten verharrte er am Tor und wartete darauf, dass ihn jemand in seine Zelle zurückbringen würde. "Ich dachte, sie lügen mich an", sagte er. "Als sie mich schließlich aus der Tür schubsten, und ich die Sonne und den freien Platz vor mir sah, rannte ich los."

Flucht aus der Heimat

Forootan lief die nächsten 30 Minuten durch bis ins nächste Fußballstadion, wo er eine Eintrittskarte kaufte, um zunächst in einer Menschenmenge unterzutauchen. Später rief er einige Freunde an, die ihn abholten und ihn nach Hause brachten. Während der nächsten fünf Tage konnte er nicht schlafen. Dies lag zum einen an den Nebenwirkungen der Medikamente, die man ihm im Gefängnis verabreicht hatte. Zum anderen quälte ihn der Gedanke, die Behörden könnten sein Telefon abhören und seine Aktivitäten an seinem Computer beobachteten. Der erste Monat nach seiner Freilassung sei einer der schlimmsten seines Lebens gewesen, sagt Forootan. Er habe mit niemanden über seine Erlebnisse während der Haft sprechen können; aus Angst, die Polizei würde ihn beobachten und erneut festnehmen. Seine Eltern hatten die Besitzurkunde ihres Hauses als Kaution für ihren Sohn bei den Behörden hinterlegt. Seine Verlobte und er beschlossen, aus dem Iran in die Türkei zu flüchten. Für Forootan bedeutete dies einen illegalen Grenzübertritt durch die Berge, denn man hatte ihm seinen Pass entzogen. "Ich verließ den Iran zusammen mit 70 Afghanen", erzählt er. "Acht Stunden lang wanderten wir mit ihnen durch die Berge, bis wir schließlich in der Türkei ankam. Das fiel mir sehr schwer, denn ich liebe den Iran und trauere sehr um mein Heimatland. Vielleicht kann ich nie wieder dorthin reisen."

Ungewisse Zukunft

Nach ihrer Ankunft in der Türkei heirateten Forootan und seine Verlobte, die sich auch zum christlichen Glauben bekehrt hat. Sie fanden ein Haus und konnten dort zwei Monate gemeinsam verbringen, bevor seine Frau nach Norwegen zurückkehren musste. Dort hatte man ihr Asyl gewährt. Nach drei Monaten im Südosten der Türkei sagt Forootan heute, das einzige, was für ihn noch schwerer sei als das Verlassen seiner Eltern, sei die ungewisse Zukunft. Er hoffe darauf, eines Tages zu seiner Frau nach Norwegen stoßen zu können, und dort mit ihr in Freiheit endlich eine eigene Familie gründen zu können. Gegenwärtig wartet er auf seine offizielle Anerkennung als Flüchtling in der Türkei und fühlt sich heimatlos.: "Ich vermisse den Iran."

Hintergrund:
Das Hilfswerk Open Doors führt den Iran auf Platz 2 seines Weltverfolgungsindex, auf dem die Länder aufgelistet sind, in denen Christen am stärksten verfolgt werden. Rigoros gehen das Regime und Religionswächter gegen die Ausbreitung des christlichen Glaubens in der islamischen Republik vor. Selbst hochrangige islamische Geistliche beteiligen sich an der Propaganda gegen Christen und das Wachstum von Hausgemeinden aus Christen muslimischer Herkunft. Bei Verhören versuchen Beamte die Namen von ehemaligen Muslimen und Versammlungsstätten von Hausgemeinden zu erzwingen. Schätzungsweise drei Viertel der 450.000 Christen im Iran sind ehemalige Muslime.

Bitte beten Sie für die im Iran aufgrund ihres Glaubens gefangenen Christen und ihre Familien sowie für alle Christen und Gemeinden in der islamischen Republik. Befürchtet wird, dass der Druck auf sie anhalten wird.

QuelleBericht: Compass Direct