Persönliche Berichte

Hintergrund China: Ein Ende der Toleranz?

(Open Doors) - Im Hinblick auf den Umgang mit Menschenrechten scheint China seinen Kurs gerade auch in Sachen Religionsfreiheit zu korrigieren. Neben dem unverminderten Vorgehen der Behörden gegen vermeintliche Abweichler oder Bürger, denen subversive Machschaften unterstellt werden, bleiben die aus staatlicher Sicht illegalen Hausgemeinden weiter im Visier. Und sie stehen in diesen Tagen vor vielen innergemeindlichen Herausforderungen.

Ende der Toleranz?
China: Mitglieder der Shouwang-Hausgemeinde beim Gottesdienst in einem ParkManches bleibt in China unverändert. Etwa im Hinblick auf das Recht zur freien Meinungsäußerung: So musste sich der US-amerikanische Sänger Bob Dylan bei seinem Konzert Anfang April dieses Jahres in Peking bereit erklären, auf alle Lieder zu verzichten, die das Kulturministerium für unakzeptabel hielt. Auch Ai Weiwei musste sich nach seiner Freilassung aus der Haft aller politischen Kommentare enthalten. Der prominente Regimekritiker wurde ungeachtet seiner internationalen Bekanntheit im April wegen angeblicher Wirtschaftsverbrechen verhaftet. Auch Christen bleiben von dem härteren Vorgehen der Behörden in diesen Tagen nicht verschont: Nur vier Tage nach dem eingangs erwähnten Dylan-Konzert war bekannt geworden, dass Behörden die Shouwang-Kirche, eine nichtregistrierte Hausgemeinde in Peking mit etwa 1.000 Mitgliedern, daran gehindert hatten, Gottesdienste zu feiern. Als die Gemeinde daraufhin versuchte, die Versammlungen unter freiem Himmel abzuhalten (Foto), wurden mindestens 160 Gemeindemitglieder vorübergehend verhaftet, zu Sammelverhör-Stellen gebracht. Gemeindeleiter und Pastoren kamen unter Hausarrest. Noch immer werden Sonntag für Sonntag Versuche der Gemeinde unterbunden, sich zu versammeln.

Dies deutet auf ein verändertes Vorgehen der Behörden hin: Denn in den vergangenen Jahren berichteten die meisten Hausgemeindeleiter, dass sich Christen, die nicht staatlich erlaubten Kirchen angehören, durchaus versammeln konnten. Ja sogar toleriert wurden, solange sich die Treffen im "akzeptablen Rahmen" hielten und "den Frieden und die Harmonie in der Gesellschaft" nicht störten. Zumindest galt dies für Hausgemeinden in Großstädten mit nicht mehr als 50 bis 100 Mitgliedern. Wenngleich dies von Region zu Region variierte.

Arabischer Frühling nicht in China

Seit Beginn dieses Jahres melden internationale Nachrichtenagenturen eine erheblich gestiegene Zahl von Fällen von Polizeiwillkür, Razzien in Versammlungen von Hausgemeinden und der Zerstörung von Kirchenbesitz. Zudem werden immer wieder ausgewählte Gemeindeleiter, also vornehmlich die Köpfe der Hauskirchenbewegung, vorübergehend oder für einen längeren Zeitraum inhaftiert. Ob dies Teil einer groß angelegten Kampagne ist, wird sich zeigen. Doch stehen die von Staats wegen als illegal eingestuften Hausgemeinden unter Druck. Denn ihre Leiter werden als "soziale Aktivisten", quasi als vermeintliche Umstürzler, angesehen. Hinzu kommt die geopolitische Lage: Nach den von China aufmerksam beobachteten Umsturzbewegungen des "arabischen Frühlings" will das Regime einer chinesischen Version vorbeugen, indem es prophylaktisch gegen Regimekritiker, aber auch gegen Christen, die sich unerlaubt versammeln, vorgeht.

Herausforderungen für Hausgemeinden

Die binnen einer Generation erreichten wirtschaftlichen Veränderungen in China stellen insbesondere die stetig wachsenden Hauskirchen vor enorme Herausforderungen. Ursprünglich als eine Bewegung unter Bauern und verarmten Menschen begonnen, lassen sich heute fünf Herausforderungen für die Hauskirchenbewegung benennen:

  • Land-Stadt-Bewegung: Binnen einer Generation ist der Anteil der Wanderarbeiter vom Land in die Stadt auf 250 Millionen Menschen angewachsen. Diese Landflucht betrifft auch die Hauskirchen. Menschen von Land erleben nicht selten einen Kulturschock und sind mit dem Leben in den Millionenmetropolen überfordert. Nicht nur, dass der Wohnraum knapp wird, verbunden mit höheren Mietkosten und zunehmenden Beschwerden von Nachbarn wegen Lärmbelästigung wegen gottesdienstlicher Versammlungen arbeiten die meisten Gemeindemitglieder obendrein bis zu 12 Stunden am Tag. Das erschwert die Gemeindearbeit. Allerdings hat die Verstädterung auch einen neuen Typus von Hausgemeinde hervorgebracht: die sogenannte "Dritte Kirche". Hierbei handelt es sich um meist gut ausgebildete urbane Christen, häufig in gehobenen beruflichen Positionen. Diese Gemeinden haben ebenso mit behördlicher Willkür zu rechnen, wie das Beispiel der Shouwang-Kirche zeigt. Zu deren Mitgliedern gehören u.a. Universitätsprofessoren, Ärzte, Anwälte und KP-Parteimitglieder.

  • Materialismus und Konsumverhalten: Viele Chinesen jagen dem Wohlstand und den Annehmlichkeiten im aufstrebenden China nach. Davon bleiben auch Christen nicht verschont. Nicht selten werden auch sie bestimmt von Konsumstreben und nicht vom Ausleben christlicher Werte.

  • China: Teilnehmer aus Hausgemeinden an einer Open Doors-SchulungGesellschaftlicher Einfluss: Wie können Christen die Gesellschaft prägen? Viele Hausgemeinden haben Familienzentren, Waisenhäuser oder Bibliotheken gegründet. Hausgemeinden bekunden durch gelebte christliche Nächstenliebe ihren Glauben und prägen christliche Werte. Seit Jahrzehnten unterstützt Open Doors mit eigenen Mitarbeitern vor Ort chinesische Hausgemeinden unter anderem mit christlicher Literatur und Schulungen für Pastoren und Gemeindeleiter. Ein Schwerpunkt liegt im Bereich christlicher Kinder- und Jugendliteratur - Mangelware in China - sowie der Ausbildung von Mitarbeitern für den Gemeindedienst. (Foto: Hilfe durch Schulungen/Open Doors)

  • Verfolgung und Benachteiligung: Eine offensichtlich andauernde Herausforderung ist und bleibt die Verfolgung und Benachteiligung von staatlich nicht anerkannten Hausgemeinden. Wie es um die Verwirklichung der Menschenrechte in einem Land steht, lässt sich gut daran ablesen, inwiefern die Bürger ihre persönlich gewählte Religion praktizieren können, ist das Hilfswerk Open Doors überzeugt. Trotz einer Vielzahl von Verbesserungen, insbesondere für staatlich anerkannte Kirchen, führt das Hilfswerk die Volksrepublik noch immer auf einem der vorderen Plätze im Weltverfolgungsindex. Die Liste aus derzeit 51 Ländern zeigt, wo Christen am stärksten verfolgt werden. Aktuell steht das Land auf Platz 16. Vor-Ort-Befragungen von Pastoren und Gemeindeleitern durch Open Doors haben ergeben: Von Glaubensfreiheit entsprechend international anerkannter Konventionen kann in China keine Rede sein. Dabei fließen in die Beurteilung der Glaubensfreiheit von Christen nicht nur konkrete Repressalien wie etwa Festnahmen oder Kirchenschließungen ein, sondern auch die Frage nach der generell herrschenden Freiheit: Können sich Christen ungestraft organisieren oder versammeln? Eigene Medien herstellen? Wird kirchliches Leben überwacht und zensiert?

Für die Hausgemeindebewegung wird sich erst dann etwas spürbar ändern, wenn die kommunistische Partei sie nicht mehr als potenzielle Bedrohung ihrer Macht ansieht. Der frühere Mitarbeiter des chinesischen Kulturministeriums Shi Baojun sagt in einem Zeitungsinterview mit dem britischen "Guardian" hierzu: "Verstehen Sie, die Regierung wägt immer ab, einerseits freiheitlich zu erscheinen, aber doch immer die Kontrolle zu behalten". Dies gilt natürlich auch für die Religionsfreiheit.

Nach Einschätzung von Open Doors leben etwa 85 Millionen Christen in China. Es könnten jedoch weit mehr sein. Nahezu Dreiviertel von ihnen leben ihren Glauben außerhalb des staatlich verordneten Systems. Da die verschiedenen Gemeinden inzwischen mehr Mitglieder haben als die kommunistische Partei, werden Christen weiter als potenzielle Kraft für eine Rebellion angesehen, die kontrolliert werden muss.