Weltverfolgungsindex 2023

Tunesien

Christenverfolgung in Tunesien

Berichtszeitraum: 1. Oktober 2021 – 30. September 2022

Überblick

Tunesische Christen sind mit Diskriminierung und Angriffen konfrontiert, die oft verdeckt stattfinden und der Öffentlichkeit verborgen bleiben. Viele Christen erleben wegen ihres Glaubens Arbeitsplatzunsicherheit und Zurückweisung durch ihr soziales Umfeld bis hin zu körperlicher Gewalt. Dies wirkt sich auf ihren Alltag aus.

Aufgrund solcher Faktoren können die meisten tunesischen Christen muslimischer Herkunft ihren christlichen Glauben nicht offen praktizieren und ziehen es vor, ihn zu verbergen. Die Feindseligkeit und der Druck, denen sie seitens der Gesellschaft ausgesetzt sind, machen es für sie gefährlich, mit ihren Familienmitgliedern oder Freunden über ihren Glauben zu sprechen. Solange sie von den tunesischen Sicherheitsdiensten überwacht werden, ist es auch schwierig für sie, sich zu Gottesdiensten zu treffen, aufgrund der Risiken, die jede mögliche Aufdeckung mit sich bringen würde.

Länderprofil als PDF

Das folgende Länderprofil ist ein übersetzter Auszug aus dem Country Dossier von World Watch Research, der Forschungsabteilung von Open Doors. Das vollständige Dossier auf Englisch sowie das gekürzte Länderprofil auf Deutsch (beides als PDF) finden Sie hier zum Download.

Country Dossier als PDF

Länderprofil als PDF

1. Hintergrund

Im Jahr 2011 begann die sogenannte „Tunesische Revolution“, ausgelöst durch hohe Arbeitslosenzahlen, dürftige Lebensverhältnisse, Korruption und einen allgemeinen Mangel an Freiheit. Der damalige Präsident Zine el-Abidine Ben Ali wurde gestürzt, und die Revolution, die heute als „Arabischer Frühling“ bezeichnet wird, breitete sich über die ganze Region aus. Nachdem unter einer neuen Verfassung in den Jahren 2014 und 2019 Wahlen abgehalten worden waren, bildeten sich Koalitionen aus säkularen und islamistischen Parteien. Die häufig wechselnden Regierungen (mehr als zehn in weniger als zehn Jahren) hatten jedoch weiterhin mit wirtschaftlichen Herausforderungen und politischer Instabilität zu kämpfen. Obwohl Tunesien nach wie vor als „unzulängliche Demokratie“ betrachtet wurde, waren Zeichen einer sich entwickelnden Stabilität und zunehmender Freiheitsrechte erkennbar. Am 25. Juli 2021 beurlaubte Präsident Saied jedoch das Parlament und übernahm die Macht. Während er versprach, die vorherrschende Korruption zu bekämpfen, ist weiterhin nicht absehbar, ob er die Demokratie wiederherstellen wird. Durch ein Verfassungsreferendum im Juli 2022 wurde Tunesien zu einer Präsidialrepublik mit nahezu absoluter Macht des Präsidenten.

Laut der World Christian Database sind 99,5 Prozent der tunesischen Bevölkerung Muslime. Obwohl das französische Erbe der Laizität die gebildete Elite im städtischen Bereich immer noch prägt, ist der Islam sehr einflussreich, und die Verfassung erklärt, dass Tunesien zur islamischen Umma (Gemeinschaft der Muslime) gehört. Der christliche Glaube wird von der Regierung als fremde Religion betrachtet, und die einheimischen Kirchengemeinden werden nicht offiziell anerkannt. Tunesiens Christen muslimischer Herkunft werden weiterhin gesellschaftlich ausgegrenzt und von den Sicherheitsdiensten überwacht. Alle christlichen Konfessionen sind durch Kirchen in der Hauptstadt Tunis repräsentiert, die hauptsächlich von den ausländischen Christen besucht werden, die im Land leben.

Weltanschauungen

Anhänger

%

Christen

22.500

0,2

Muslime

11.987.000

99,5

Atheisten

3.600

0,0

Agnostiker

28.500

0,2

2. Gibt es regionale Unterschiede?

Christen muslimischer Herkunft haben am meisten von ihren eigenen Familienmitgliedern und dem sozialen Umfeld zu befürchten, besonders in dem konservativeren Süden des Landes. Städtische Gebiete, insbesondere die Hauptstadt Tunis, bieten Christen muslimischer Herkunft die Möglichkeit, dem Druck der Familie zu entkommen und ihren Glauben in größerer Anonymität zu leben. In den südlichen Grenzgebieten sind gewaltbereite islamistische Kämpfer aktiv und greifen wahllos Christen an, wenn die Gelegenheit sich ergibt.

3. Was sind die stärksten Triebkräfte der Verfolgung?

Islamische Unterdrückung

Auf familiärer Ebene kommt es vor, dass Christen muslimischer Herkunft von ihren Familien unter Hausarrest gestellt werden. Auf der politischen Ebene sind die islamistischen Parteien immer noch einflussreich. Der Präsident scheint entschlossen, Tunesien als ein islamisches Land zu erhalten und zeigt wenig Respekt für die (religiösen) Rechte der tunesischen Christen.

Eine vollständige Übersicht aller im Land wirksamen Triebkräfte finden Sie im ungekürzten, englischen Länderprofil.

4. Welche Christen sind von Verfolgung betroffen?

Ausländische Christen und Arbeitsmigranten

Christen aus dem Ausland sind relativ frei, obwohl es nicht geduldet wird, in der Öffentlichkeit das Evangelium weiterzusagen.

Christen anderer religiöser Herkunft (Konvertiten)

Christliche Konvertiten können von ihren Familienangehörigen angegriffen werden. Sie haben jedoch mehr oder weniger die Freiheit, Informationen über den christlichen Glauben zu suchen und zu erhalten, insbesondere Inhalte, die online veröffentlicht werden.

5. Wie erfahren Christen Druck und Gewalt?

Betroffene Lebensbereiche und Auftreten von Gewalt

Privatleben 12
Familienleben 12.8
Gesellschaftliches Leben 10.4
Leben im Staat 12
Kirchliches Leben 13.5
Auftreten von Gewalt 6.5

Die Summe der Wertungen aller sechs Bereiche (die maximale Punktzahl beträgt jeweils 16,7) ergibt die Gesamtpunktzahl und somit die Platzierung auf dem Weltverfolgungsindex. Das Verfolgungsmuster zeigt das Ausmaß von Druck und Gewalt, welche durch das Zusammenwirken der Triebkräfte hervorgerufen werden.

Privatleben

Besonders in ländlichen Gebieten erleben Christen muslimischer Herkunft erheblichen Druck durch ihre Familie. Sich mit anderen Christen zu treffen und christliche Materialien zu besitzen, kann gefährlich sein. Sie laufen Gefahr, von der Gesellschaft ausgeschlossen, zwangsweise isoliert oder wirtschaftlich boykottiert zu werden.

Familienleben

Die tunesische Gesellschaft betrachtet Nichtmuslime als Fremde und diskriminiert diese Gruppen mit dem Ziel, sie zur Integration in die breite sunnitisch geprägte tunesische Kultur zu nötigen. In Tunesien ist es Nichtmuslimen nicht gestattet, ein zu Kind adoptieren. Werden Ehepartner als Christen entlarvt, werden sie möglicherweise geschieden und verlieren das Sorgerecht für ihre Kinder. Für Kinder von christlichen Konvertiten ist die Teilnahme am islamischen Religionsunterricht verpflichtend, und es kann vorkommen, dass sie wegen des Glaubens ihrer Eltern ausgegrenzt, schikaniert oder sogar tätlich angegriffen werden.

Gesellschaftliches Leben

Besonders in ländlichen Gebieten erfahren Christen muslimischer Herkunft Schikane und Ausgrenzung von ihrem sozialen Umfeld. Jungen Christinnen muslimischer Herkunft wird häufig die Zwangsverheiratung mit einem muslimischen Mann angedroht. Manchen Christen muslimischer Herkunft wird außerdem das Universitätsstudium erschwert; sie erfahren Diskriminierung bei der Bewerbung um einen Arbeitsplatz oder ihr Geschäft wird boykottiert. Tunesische Christen neigen daher dazu, eine Beschäftigung bei ausländischen Institutionen zu suchen, um solche Diskriminierungen zu umgehen. Häufig finden Überwachungen statt, und Polizeibeamte befragen tunesische Christen regelmäßig über ihre Aktivitäten. Dadurch kann selbst ein gewöhnlicher Antrag für einen neuen Reisepass zu einem ausführlichen Verhör führen.

Leben im Staat

Die Scharia ist nicht die „Hauptquelle der Gesetzgebung“, wie in vielen anderen arabischen Ländern, aber der Islam dominiert dennoch das Leben im Staat. Die Behörden betrachten Nichtmuslime allgemein als Außenstehende, denen eine Gleichstellung nicht zusteht. Diese Ansichten werden durch einen feindseligen Medienapparat noch verstärkt, der danach strebt, Christen zu Sündenböcken zu machen und falsche Informationen über sie zu verbreiten.

Kirchliches Leben

Tunesische Christen muslimischer Herkunft können ihre Kirchen nicht registrieren lassen, und seit der Unabhängigkeit Tunesiens im Jahr 1956 hat keine neue Kirche eine offizielle Registrierung erhalten. Registrierte Kirchen dürfen sich frei betätigen, sehen sich aber in der Praxis mit Schwierigkeiten konfrontiert, insbesondere in Bezug auf die Instandhaltung ihres Eigentums, die Einstellung von Mitarbeitern und die Erlangung von Genehmigungen, um christliche Texte in arabischer Sprache zu veröffentlichen und zu verbreiten. Obwohl der Verkauf von Bibeln nicht verboten ist, gibt es in der Praxis viele Schwierigkeiten, dies öffentlich zu tun. Das kostenlose Verteilen von christlichen Materialien wird als Missionierung angesehen und ist verboten.

Beispiele für Auftreten von Gewalt

  • Mehrere tunesische und ausländische Christen wurden festgenommen und/oder zu ihren Aktivitäten befragt.
  • Viele tunesische Christen wurden von ihren Familien schikaniert, und einige von ihnen wurden verstoßen und aus dem Haus der Familie vertrieben.
  • Mindestens drei tunesische Christen, hauptsächlich junge Frauen, wurden mit einem muslimischen Ehepartner zwangsverheiratet.

6. Entwicklung in den letzten 5 Jahren

Jahr

Platzierung

Punktzahl

2023

36

67

2022

35

66

2021

26

67

2020

34

64

2019

37

63

Im Berichtszeitraum des Weltverfolgungsindex 2023 hat der durchschnittliche Druck in den verschiedenen Lebensbereichen leicht zugenommen, was zu einem Anstieg der Punktzahl um einen Punkt führte, während der Wert für Auftreten von Gewalt sehr hoch blieb. Am 22. Juli festigte Präsident Kais Saied seinen De-facto-Putsch durch ein Verfassungsreferendum, das die Rückkehr Tunesiens zu einer Ein-Mann-Regierung bestätigte. Obwohl die neue Verfassung in Bezug auf die Religions- und Weltanschauungsfreiheit nicht eindeutig ist, ist zu befürchten, dass die derzeitige intensive Überwachung der tunesischen Christen durch die Regierung noch weiter zunehmen wird.

7. Sind Frauen und Männer unterschiedlich von Verfolgung betroffen?

Frauen

Ein hohes Maß an sexueller Belästigung und häuslicher Gewalt, in Verbindung mit anhaltenden diskriminierenden Normen in der Gesellschaft, weisen auf massive Ungleichheit zwischen den Geschlechtern hin. Bei Verfolgung aus religiösen Motiven wird diese gesellschaftliche Situation ausgenutzt. Christinnen muslimischer Herkunft sehen sich der größten Bandbreite von Verfolgung ausgesetzt (besonders im traditionellen Kontext der Familie), einschließlich Schlägen, Ausschluss aus der Familie, Hausarrest, Morddrohungen und Vergewaltigung. Verheirateten Konvertitinnen droht die Scheidung und der Verlust des Sorgerechts für die Kinder, während ledige Christinnen muslimischer Herkunft mit Zwangsverheiratung rechnen müssen. Der Hauptverfolger ist das männliche Familienoberhaupt, das möglicherweise den Zugang zu christlichen Gemeinschaften und Materialien einschränkt.

Männer

Neubekehrte sind bei Weitem die am stärksten gefährdeten Christen in Tunesien. Männliche Konvertiten sind Einschüchterung, Arbeitsplatzverlust, Verweigerung des Zugangs zu Gemeinschaften, Verhaftung und Morddrohungen ausgesetzt. Sie können außerdem ausgestoßen werden, weil sie durch ihre Abkehr vom Islam Schande über ihre Familien gebracht haben. Von ihren Familien unter Druck gesetzt, verlassen muslimische Frauen ihren zum christlichen Glauben konvertierten Ehemann, dem möglicherweise das Erbe oder sogar der Zugriff auf seinen Besitz verwehrt wird. Wie stark die Gegenreaktion ausfällt, hängt von seiner sozialen Stellung und seinem politischen Ansehen ab. Wenn ein Mann verfolgt wird, macht das seine Familie angreifbar und schutzlos.

8. Verfolgung anderer religiöser Gruppen

Bahai sind nicht offiziell anerkannt und dürfen keinen eigenen Gebetsraum haben. Allerdings haben sie in letzter Zeit einige konstruktive Gespräche mit Regierungsvertretern geführt. Jüdische Gruppen halten frei ihre Gottesdienste ab. Außerdem sorgt die Regierung für die Sicherheit der Synagogen und hat teilweise Restaurierungs- und Instandhaltungskosten bezuschusst. Die sunnitisch-schiitische Spaltung hat zu relativ wenigen Spannungen in Tunesien geführt, obwohl schiitische Muslime mitunter diskriminiert werden und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sich in der Vergangenheit gegen den schiitischen Islam ausgesprochen haben.

9. Gebetsanliegen

Bitte beten Sie für Tunesien:

  • Bitte beten Sie für Christen in Tunesien, die vom Islam zum christlichen Glauben konvertiert sind. Beten Sie besonders für die Frauen, die häusliche Gewalt fürchten oder eine Zwangsehe mit einem muslimischen Mann eingehen müssen, weil sie sich dazu entschieden haben, Jesus nachzufolgen. Bitten Sie Gott, sie zu bewahren, zu beschützen und zu ermutigen, auch wenn sie ihren Glauben nur heimlich leben können.
  • Beten Sie für Staatspräsident Kais Saied, der alle Regierungsgeschäfte übernommen hat und nahezu alleiniger Machthaber im Land geworden ist. Beten Sie, dass Gott ihm begegnet.
  • Beten Sie, dass Gott den Behörden ein weiches Herz schenkt und sie sich für das Wohl der Menschen, einschließlich religiöser Minderheiten, einsetzen.
  • Beten Sie, dass die lokalen Partner von Open Doors in Tunesien ermutigt und gestärkt werden.

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